eine Art Jahresrückblick
Zugegeben, es ist schwierig ein Jahr prägnant auf den Punkt zu bringen. Vieles hat einen bewegt und man kann nicht wirklich sagen, ob es jetzt ein gutes oder schlechtes Jahr war. Es gibt wohl bei beiden Aussagen immer Aspekte, die man ausblendet und denen man nicht gerecht wird. Eventuell könnte man sagen, dass es das Jahr der enttäuschten Erwartungen war, weil ich Erwartungen nicht gerecht wurde und mir manchmal mehr erhofft hatte. Dann denke ich aber daran, wie wenig Erwartungen ich an eine Initiativbewerbung um ein Praktikum hatte oder wie ich mit wenig Erwartungen das erste Mal in den Kindergarten der Erstaufnahmeeinrichtung im Nachbarort ging – nur mal gucken quasi. Ich durfte tatsächlich drei Monate lang ein tolles Praktikum absolvieren und es war eine tolle Zeit, die ich für immer in Erinnerung behalten werde. Im Kindergarten-Container bei der Erstaufnahmeeinrichtung bin ich jetzt täglich und frage mich tatsächlich, wieso ich überhaupt Politikwissenschaft studiert und mit dem Bachelor of Arts abgeschlossen habe. Den Kindern eine Abwechslung vom Leben in der Flüchtlingsunterkunft zu bieten, erfüllt mich jeden Tag aufs Neue mit Glück. Es ist eine Herzlichkeit da, die ich so nicht erwartet hätte. Spätestens, wenn einem persönlich dafür gedankt wird, dass man in Deutschland sein darf, fehlen einem die Worte. Es fällt schwer dann souverän zu bleiben, etwas Passendes darauf zu sagen, dass über das total ernst gemeinte „You’re welcome“ hinaus geht. Ich konnte es nicht. Ich habe aber in der Zeit gelernt, dass die Kinder zwischen 7 und 13 Jahre, mit denen ich diese Erlebnisse habe, das, was ich tue, bereits als Willkommensgeste auffassen und dankbar sind. Man kann sich kaum vorstellen und traut sich kaum vorzustellen, was diese Kinder erlebt haben müssen.
Das Wort Erstaufnahmeeinrichtung schließt gleichzeitig mit ein, dass die Kinder die Einrichtung schnell wieder verlassen, grober Zeitraum: Wochen. Das bedeutet stets, dass man sich schlichtweg nicht sicher sein kann, ob man das Kind, mit dem man sich heute gut verstanden hat, morgen wieder sieht. Es bleibt der Gedanke, dass es den Kindern in ihrer Bleibe, die sie zugewiesen bekommen, in den meisten Fällen besser geht. Die Kinder müssen dann beispielsweise nicht mehr zu den Sanitäranlagen durch das kalte Nass da draußen laufen oder sich einen Raum zum Schlafen mit hunderten von Leuten teilen. Der Kindergarten-Container der Erstaufnahmeeinrichtung steht wie alle Container, in denen Ehrenamtliche zum Beispiel Kleidung verteilen oder Deutsch-Unterricht geben, ein ganzes Stück weit weg von der Halle, wo die Flüchtlinge untergebracht sind. Auch wenn es den Gaffer in vielen, der nur glaubt, was er sieht, nicht ganz so gut gefällt, ist spätestens beim Perspektivwechsel klar, dass man den Vertriebenen dieses letzte kleine Bisschen Privatsphäre lassen sollte. So viel Privatsphäre eben, wie man als einer unter Hunderten in einer Halle haben kann. Wer nicht rein muss, geht nicht rein, so würde ich die Einstellung aller Ehrenamtlicher, die ich bisher kennen lernen durfte, zusammenfassen. Ich persönlich fände es übrigens besser, wenn Politiker hierbei mit einem guten Beispiel voran gehen würden – abgesehen davon, dass die Bilder es absolut nicht wert sind, so in die Privatsphäre anderer Leute einzudringen und diese zu verletzen, eben weil die Bilder vermitteln: Er gehört da nicht rein, muss dort nicht rein, ist wie ein Fremdkörper dort, es ist nicht okay, dass er dort ist. Zumindest spricht das verlinkte Bild so zu mir. Wie geht es Euch dabei?
Verlieren ist okay und gehört dazu
Aber zurück zur Ungewissheit, ob man einen lieben Menschen wiedersieht, in meinem Fall, ein Kind aus der Erstaufnahmeeinrichtung. Ich habe diese Ungewissheit in den letzten Wochen häufig verspürt. Es ist kein Leichtes die Kinder mit einem solchen Gefühl zu entlassen, ich denke mir aber, dass ich durch diese Situationen auch die Dinge, die in diesem Jahr passiert sind, besser zu verarbeiten. Sei es der Verlust von Liebe, von Großeltern, von Twittertreffen, auf denen man sehr gern war, von der Stadt, in der man gern gelebt hat oder einfach von liebenswürdigen Menschen – es ist okay. Manche Lücken im Herzen können nur schwer bis überhaupt nicht gefüllt werden, manchmal werden die Lücken gefüllt und trotzdem denkt man manchmal an das zurück, was war, wenn auch traurigen Herzens. Es ist eine Zeit der Veränderung und wer sich nicht an diese anpasst, wird am Ende verlieren.
Weihnachten war für mich bisher eher das Fest, bei dem man sich neben der Gemütlich- und Besinnlichkeit natürlich auf die eigene Bescherung freut – zugegeben ist diese Vorfreude in den letzten Jahren etwas verblasst, man wird ja älter… Dieses Jahr ist das völlig anders. Ich freue mich vor allem auf die Gesichter der Kinder, wenn sie morgen ihre Schuhkartons voller schöner Geschenke in den Händen halten. Schöne Geschenke, bei denen sich örtliche bis regionale Unternehmen, von der Apotheke über den Sportverein bis hin zum Stromversorger, nicht haben lumpen lassen beispielhaft eingebracht haben. Vielen Dank dafür, auch dem evangelischen Kindergarten für die tatkräftige Hilfe! Ich persönlich bin froh, einer der Helfer zu sein, die hinter dieser Bescherung stecken. Den Kindern, den Flüchtlingen allgemein in dieser schwierigen Zeit etwas Gutes zu tun, ist ein wichtiges Anliegen und mir persönlich an diesem Weihnachtsfest das Wichtigste. Den Verteidigern christlicher Werte des Abendlandes – naja, Ihr wisst schon – möchte ich entgegen rufen: Welche Werte können wir eigentlich den „Neuen“ vermitteln? Ist es nicht gerade die Gastfreundschaft, von der die Weihnachtsgeschichte handelt? Fremde aufzunehmen und Ihnen in einer Notsituation zu geben, was man hat – selbst dann, wenn es wenig ist? So zu helfen, wie es einem eben gerade möglich? Was, wenn nicht diese Werte, wollen wir den Flüchtlingen vermitteln?
Auch wenn unsere Bescherungs-Aktion morgen wenig mit der Weihnachtsgeschichte zu tun haben mag, werden sich die Kinder vielleicht gerade deshalb in ein paar Jahren daran erinnern, wie glücklich sie über die neuen Socken oder die Schokolade waren. Was für nette Leute aus Deutschland sich damals ab und zu um sie gesorgt haben. Wir fragen die Kinder täglich im Sitzkreis, wie es Ihnen geht und viele antworten spontan und laut: „Mir geht es gut!“. In diesen Moment muss ich jedes Mal lächeln, weil ich genau weiß, dass unser Angebot dazu beiträgt, dass es ihnen gut geht. Die Kinder lachen hier und fühlen sich wohl, sind dabei, Teile der deutschen Sprache in ihren Grundzügen zu lernen, den erste Schritt zur Integration zu machen. Ich frage mich, ob diese ganzen Gestalten in den Kommentarspalten jemals eine Art emotionale Bindung zu einem Flüchtling hatten. Ob sie sich auch mal gut gefühlt haben, weil es einem, der tausende Kilometer weit floh, in diesem Land gut geht. Die Antwort kann nur Nein sein. In diesem Sinne: Gehet hin und ihr werdet sehen: Es ist wunderschön, so fühlen zu dürfen.
Ich jedenfalls freue mich auf morgen. Dann ist für mich Weihnachten.
Euer Marius