Marius Meyer

Letzter Tag

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Heute war er also, der letzte Tag in der Erstaufnahmeeinrichtung. Die aus ihrer Heimat geflohenen Menschen sind längst woanders in Hessen und die Mitarbeiter und Helfer wurden zu einem kleinen Treffen eingeladen. Es wurde sich sehr viel bedankt, vor allem der Betreiber der Erstaufnahmeeinrichtung tat sich dabei hervor; würdigte das ehrenamtliche Engagement mit den Worten „man kann sich gar nicht genug bedanken“. Das hat gut getan. In der aktuellen Debatte vermisse ich oft genau diesen Gedanken; „Danke liebe Helfer, Danke liebe Feuerwehr, Danke liebe Polizei, Danke liebe Taxifahrer, Danke liebe Dolmetscher“, denn sie zeigen exemplarisch, dass Erstaufnahmeeinrichtungen nicht ohne das Drumherum existieren können, ohne die Hilfe vieler verschiedener bezahlter und unbezahlter Kräfte klappt es nicht. Ich werde später auf diesen Gedanken zurück kommen.

In diesen Tagen ist es nicht leicht zu ertragen, wie über Sachsen berichtet wird. Ich kenne nicht viele Sachsen, aber merke, dass häufig der Fehler begangen wird, nicht über Ereignisse in Sachsen an sich zu berichten, sondern eine rassistische Tendenz in Teilen der Bevölkerung auf das ganze Bundesland zu übertragen. Der Fehler eine solche Generalisierung in den Raum zu stellen, ist in meinen Augen fatal, da man genau das nicht tut, was man stets beim Sprechen über Flüchtlinge fordert: Differenzieren. Vor ein paar Wochen habe ich öfter mal das RTL Nachtjournal gesehen, in dem u.a. ein Beitrag über den sächsischen Ort Heidenau lief, ein Ort, der seit dem August letzten Jahres kaum einem Nachrichten-Interessierten unbekannt sein wird. Es wurde erstaunlich differenziert darüber berichtet, dass es in Heidenau auf der einen Seite natürlich die gibt, die strikt gegen Flüchtlinge sind und dementsprechend hetzen. Aber auch die andere Seite wurde beleuchtet, nämlich dass es auch in Heidenau viele Ehrenamtliche gibt. Diese Seite der Medaille wird leider all zu oft ausgeblendet und Schwarz-Weiß-Malerei betrieben, gerade in der Berichterstattung über „neue“ Bundesländer. Es ist ja auch einfach, die „Neuen“ als Ganzes zu verurteilen. Wenn man dann „Sachsen“ durch „Flüchtlinge“ ersetzt, ergeben sich Aussagen, die die seriösen Medien wohl nie tätigen würden. Ganz gleich, ob Sachsen, Nordafrikaner oder generell Flüchtlinge, man sollte nicht den Fehler machen und alle über einen Kamm scheren. Wer so etwas tut, muss sich leider den Vorwurf gefallen lassen, denselben Fehler zu machen, wie die zahlreichen Hetzer im Internet und dabei keinen Deut besser zu sein. Wer alle Sachsen als Nazis abtut, kann doch unmöglich im nächsten Moment fordern, nicht alle Nordafrikaner als Sexualstraftäter zu bezeichnen, die tatsächlichen Anteile von Tätern an der ganzen Gruppe mal außen vor gelassen. Selbst bei Satire-Inhalten geht mir eine solche Überspitzung mittlerweile auf den Geist, weil es die Distanzierung von einer ganzen Gruppe vorantreibt und man sich als Mitglied der verurteilten Gruppe möglicherweise ausgestoßen fühlt.

Eine differenzierte Berichterstattung über Städte, in denen es rassistische Verbrechen gab, erfordert meiner Meinung nach immer auch die Auseinandersetzung mit der anderen Seite, den vielen ehrenamtlichen Helfern beispielsweise. An Weihnachten würdigte der Bundespräsident den Einsatz der ehrenamtlichen Helfer, danach wurde es etwas still um das Thema, das ist mein subjektiver Eindruck. Leider wurde es meiner Meinung nach so still, dass eine Julia Klöckner in ihrem Plan „A2“ diesen Aspekt bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise offensichtlich ausklammert. Die Erstaufnahmeeinrichtungen sollen an die Grenze verlegt werden. Unbeachtet der generellen Undurchführbarkeit eines solchen Vorhabens („Julia Klöckner kann froh sein, wenn ihr Plan nie umgesetzt wird“, Süddeutsche Zeitung) hat Frau Klöckner, Spitzenkandidatin der CDU in Rheinland-Pfalz, ihre Ideen letzte Woche nochmal aufs Neue in die Welt herausposaunt, denn es ist ja Wahlkampf. Sie tat das gemeinsam mit Guido Wolf, Spitzenkandidat der CDU in Baden-Württemberg, denn es ist ja Wahlkampf. Wie sinnvoll es ist, als CDU-Spitzenkandidat(in) auf Landesebene eine asylkritische Haltung einzunehmen, die der praktizierten Haltung derselben Partei auf Bundesebene, die generell stärker wahrgenommen wird, stark widerspricht, sei mal dahingestellt.

Stellt man sich vor, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen an der Grenze wären, würde dadurch ein Großteil des ehrenamtlichen Engagements verloren gehen, von der ungleichen Belastung der anderen helfenden Kräfte wie der Polizei ganz zu schweigern. Für meine Region kann ich sagen, dass es vielerorts, wenn nicht sogar überall, Helfergruppen gibt, die versuchen, dass es den Flüchtlingen in der Zeit bis zur Asyl-Entscheidung durch das BAMF und darüber hinaus, hier bei uns gut geht. Ich habe schon in meinen Blogeintrag im Dezember darauf hingewiesen, wie stolz mich diese Art der Wertevermittlung macht. Ich erlebe in diesen Gruppen der Ehrenamtlichen stets eine wohltuende Menschlichkeit. Hier denkt man nicht in Zahlen, denn wer da ist, ist da und wer da ist, soll es gut haben, soweit man etwas dazu beitragen kann, soweit es eben geht. Zu diesem Nachsatz später mehr. Die Arbeit ist vielfältig, ob Kinderbetreuung, Deutschunterricht, die Organisation von Begegnung oder Kleiderausgaben. Dies sind allein die Aufgaben, die ich in der einen Erstaufnahmeeinrichtung wahrgenommen habe, in der ich heute meinen letzten Tag hatte. Dieses Engagement in seiner Gesamtheit würde bis auf die ehrenamtlichen Helfer in Grenznähe wegfallen. Ich persönlich finde es eine Frechheit von Frau Klöckner und ihren Anhang namens Wolf, dieses Engagement dadurch zu degradieren, dass man sagt, dass die Einrichtungen an die Grenze gehören. Eine Erstaufnahmeeinrichtung in einer solchen „Qualität“ kann nicht ohne das Drumherum existieren. Jetzt hätten einige Leute sicher nichts dagegen, wenn die Qualität der Unterbringung dann eben sinken würde, diese Leute haben aber auch noch nie eine Erstaufnahmeeinrichtung von innen gesehen. Wie schon im letzten Blogpost angedeutet, schlafen die Flüchtlingen oft mit hundert anderen unter einer hohen Decke, es hallt folglich stark, sie haben kaum Privatsphäre und müssen in Sanitäranlagen außerhalb der Halle, da diese besser austauschbar sind, sollte mal etwas sein. Das Licht ist nachts gedimmt eingeschaltet, damit keiner über den anderen fällt. Kürzlich war ich einer neuen Einrichtung in einer Fabrikhalle, in der die Heizung über Ventilatoren an der Decke realisiert wird, die stets ein Surrgeräusch (ca. 60 dB) von sich geben, auch nachts, wenn man die Halle in dieser Jahreszeit nicht auskühlen lassen möchte.

Erstaufnahmeeinrichtungen an der Grenze sollen auch Abschreckung sein, sodass sich nicht mehr so viele Flüchtlinge auf den Weg machen – ich weiß, dass CDU-Wahlkämpfer in Rheinland-Pfalz genau so argumentieren. Auch an dieser Stelle stellt sich die Frage, ob man je in einer Erstaufnahmeeinrichtung war, wenn man so etwas sagen kann. Ich persönlich empfinde das Dasein der Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen (oftmals Turnhallen, vermehrt aber Fabrikhallen oder Containerbauten) keinesfalls so, dass die geflohenen Menschen gleich ihren Bekannten Bescheid geben, wie toll es dort ist und dass sie bloß rüber kommen sollen. Das entspricht auch gar nicht den Eindrücken, die mir die Leute in der Erstaufnahmeeinrichtung von der Flucht vermittelt haben. Man kann soetwas heutzutage gut dokumentieren und ich bin froh darum. Bilder der Heimat, vom Fluchtweg, vom Schlauchboot nach Europa haben mir ein ziemlich klares Bild davon vermittelt, wie angsteinflößend und erschöpfend eine Flucht sein muss. Auch die jüngsten Bilder aus Mazedonien zeigen das. Es wird keiner, der hier angekommen ist, seinen Bekannten schreiben „Das ist gut, mach das auch“ – glaube ich nicht. Auch das Leben in den derzeit vorhandenen Einrichtungen ist sicher nicht immer leicht. Und verdammt, wie kann man nur wollen, dass es anderen Menschen im eigenen Land zur Abschreckung schlecht geht? Ich bin absolut dafür, dass es den Menschen in diesem Land gut geht, dass sie sich wohl fühlen und wenn ich etwas persönlich dafür tun kann, ich mach das gern. Ich habe das Gefühl, dass es den Flüchtlingen insgesamt durch das ehrenamtliche Engagement besser geht. Sie bekommen kostenlos Kleidung, können kostenlos ihre Kinder mal abgeben, etwas Zeit für sich haben und zeitgleich beim Deutschunterricht die ersten Kenntnisse der Sprache, die hier gesprochen wird, erlernen. Auch hierüber habe ich schon im Dezember geschrieben. Natürlich gibt es hierbei auch Probleme, kein Frage. Flüchtlinge, die nicht einsehen wollen, dass ihr Kind nur einmal am Tag den Kindergarten besuchen darf, weil die Gruppen sonst zu groß werden. Flüchtlinge, die viel Kleidung aus der Kleiderkammer mitnehmen wollen und dann von einem Ehrenamtlichen verbal aufgehalten werden müssen. Flüchtlinge, die ihren Frust an den Ehrenamtlichen auslassen oder bei der Lieferung von neuer Kleidung ungehemmt in den Kisten wühlen. Dass viele Ehrenamtliche eine berufliche Pause nutzen, um sich zu engagieren und es dann schwer fällt, das Engagement wieder sein zu lassen, das haben ich auch gefühlt. Dass man vielleicht sogar Hobbys, die Familie oder den Partner vernachlässigt, um zu helfen oder sich auch einfach mal verloren fühlt, weil man das Ehrenamt ab und an allein betreibt. Auch das Erwähnen solcher Probleme gehört zum Differenzieren dazu. Was viele auf sich nehmen, einzig weil es der guten Sache dient, finde ich toll und ich habe höchsten Respekt davor. Natürlich läuft nicht alles reibungslos ab, aber am Ende des Tages fühlt man sich oft gewertschätzt, von wem auch immer.

Nicht gewertschätzt fühlt man sich in diesen Tage durch manche politische Personen. Dass die AfD uns als „Gutmenschen“ bezeichnet und man sich fragt, seit wann es eigentlich schlecht ist, etwas Gutes zu tun – geschenkt. Aber dass Teile der CDU so tun, als könnte man die Erstaufnahmeeinrichtungen an die Grenze verlegen- Nein, einfach Nein. Das kann und das will ich nicht akzeptieren. Als ob das ehrenamtliche Engagement verzichtbar oder gar unwichtig wäre. Ist es beides nicht. Wir machen still unser Ding, aber wir machen es gut und gern. Den regierenden Politikern möchte ich sagen: Vergesst uns nicht. Wir schaffen das, ja, aber ihr schafft das nicht ohne uns.

Natürlich beschäftigt die Ehrenamtlichen auch wie es weitergeht. Dass der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Christoph Strässer wohl aufgrund des Asylpakets II (vgl. Strässers Abstimmungsverhalten) von seinem Amt zurückgetreten ist, haben einige wahrgenommen. Was für Familiendramen sich aufgrund dieser Verschärfung des Asylgesetzes demnächst auf dem Mittelmeer abspielen werden, weil der Familiennachzug beschränkt wurde, wird man sicher kaum erfahren, aber nur weil man nicht davon hört, heißt es nicht, dass es sie nicht gibt, womit wir wieder bei den Ehrenamtlichen in Sachsen wären. Ihnen möchte ich zurufen, dass sie mir und hoffentlich vielen anderen zeigen, dass Sachsen eben nicht das Dunkeldeutschland (O-Ton Spiegel-TV) ist, als das es in diesen Tagen oft beschrieben wird.